15.04.2018 18:00

Bei Kinderarmut sind Fakten nicht alternativ

Grundsätzlich kümmert sich unser gemeinnütziger Verein "ghettokids - Soziale Projekte e.V." um alle sozial benachteiligten Kinder und Jugendlichen im Münchner Raum, die in verschiedensten Bereichen Hilfe benötigen. Hierbei stammen deren Familien aus hauptsächlich drei großen sozialen Gruppen, die man leider als "Verlierer unserer Gesellschaft" benennen muss: Alleinerziehende, kinderreiche Familien und Mitbürger mit Migrationswurzeln. Nicht alle diese Familien leben vom so genannten Hartz-IV-Bezug, dem Arbeitslosengeld II, aber viele von ihnen leben am absoluten Existenzminimum.

An etlichen Stammtischen, nicht selten auch in Leserbriefen und bei Äußerungen von einigen Politkern zum Thema Kinderarmut wird die Meinung vertreten, dass das Leben mit Hartz-IV nichts mit Armut zu tun hat. Deren Argumente: Angeblich wird der Lebensunterhalt inklusive Miete mit Nebenkosten in vollem Umfang übernommen, dazu erhalten die Familien noch das Kindergeld und schulische Zusatzkosten werden übernommen.

Jetzt zu den nicht-alternativen Fakten:

- die drei genannten sozialen Gruppen haben es schwerer eine Arbeitsstelle zu finden und ebenso schwer sie zu behalten;

- ein alleinstehender Hartz-IV-Empfänger erhält pro Tag 4,77€ für Essen und alkoholfreie Getränke;

- ein Kind im Vorschulalter erhält 2,77€ pro Tag für Essen und Trinken (drei Mahlzeiten plus Pausenbrot);

- Kindern zwischen 6 und 14 Jahren stehen 3,93€ pro Tag dafür zur Verfügung;

- 44% der Alleinerziehenden gelten als armutsgefährdet;

- in Familien mit drei oder mehr Kindern steigt das Armutsrisiko auf 25%;

- rund 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche galten im Familienbericht 2017 des Bundesfamilienministeriums als armutsgefährdet;

- das Kindergeld wird wie ein Einkommen in vollem Umfang auf die Hartz-IV Leistungen angerechnet, d.h. Hartz-IV wird durch das Kindergeld reduziert;

- Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes, dass die volle Anrechnung des Kindergeldes auf Hartz-IV-Leistungen nicht gegen Grundrechte verstoße und somit das Existenzminimum gesichert sei:

"Durch die vollständige Anrechnung des Kindergeldes wird das Grundrecht auf ein 'menschenwürdiges Existenzminimum' nicht verletzt" (BVerfG, Beschluss vom 11. März 2010 – 1 BvR 3163/09);

- Elterngeld wird seit der Reform 2011 für Hartz-IV-Empfänger ebenso mehr oder weniger gestrichen, weil es wie das Kindergeld auf die Leistungen angerechnet wird;

- Strom- und Heizungskosten werden auch nicht in vollem Umfang übernommen, bei den Jahresabrechnungen werden anfallende Nachzahlungen vom Existenzminimum einbehalten;

Hartz-IV-Empfänger schwimmen nicht im Geld! Dies wollen wir genauer betrachten.

Wieviel Geld erhalten Familien für Kinder im Hartz-IV-Regelsatz (Stand Januar 2018)?

0 - 5 Jahre: 240 €

6 - 14 Jahre: 296 €

15 - 17 Jahre: 316 €

Hinzu kommt Kindergeld, das aber mit dem Regelsatz verrechnet wird.

1. Kind: 194 €

2. Kind: 194 €

3. Kind: 200 €

ab 4. Kind: 225 €

(Das Kindergeld wurde seit Januar 2016 übrigens nur um insgesamt 4 € erhöht.)

Da das Kindergeld aber - wie erwähnt - mit dem Hartz-IV-Regelsatz verrechnet wird, muss man den Kindergeldbetrag vom Hartz-IV-Regelsatz abziehen.

Das ergibt folgende mögliche Hartz-IV-Auszahlungen je nach Alter und Kinderanzahl:

0 - 5 Jahre: 46 € bzw. 40 € bzw. 15 €

6 - 14 Jahre: 102 € bzw. 96 € bzw. 71 €

15 - 17 Jahre: 122 € bzw. 116 € bzw. 91 €

Das bedeutet: Je mehr Kinder, desto größer der finanzielle Verlust.

Unser "ghettokids"-Projekt "Bilsuma" (Bildungssupermarkt) ist eines unserer Hauptprojekte, denn im Hartz-IV-Regelsatz für Kinder ist für Bildung jeder Altersstufe deutlich weniger als 1 € vorgesehen:

- Vorschulalter: 72 Cent

- Volksschulalter: 53 Cent

- Berufsschulalter: 22 Cent

Reichen diese Beträge aus, um einen geregelten Schulalltag bewältigen zu können?

Das würde bedeuten: ein Mittelschüler müsste laut Hartz-IV-Regelsatz für den nicht lernmittelfreien Atlas (der somit selbst angeschafft werden muss), der über 30€ kostet, mehr als 60 Monate sparen, und er könnte sich in dieser Zeit keine anderen Schulmaterialien anschaffen. Das wären 5 Jahre!

Aus den genannten Gründen unterstützen wir seit dem Jahr 2000 sozial benachteiligte Kinder u.a. auch bei der finanziellen Anschaffung von Schul- und Bildungsmaterialien, bei der Beschaffung von Schuhen und Kleidung für den Sportunterricht und bei der Vorsorgung mit Frühstück bzw. Brotzeit.

Die Einschätzung vieler Experten entspricht oft unseren realen Beobachtungen in der Praxis: ab dem 20. jedes Monats reicht das Geld kaum noch für das Nötigste. Dann beginnt oft die echte, nicht relative Armut.

Kinderarmut ist in unserem reichen Deutschland und auch im reichen München leider trauriger Fakt. Das Armutsrisiko von betroffenen Familien steigt ständig an und ein Rückgang ist kaum erwartbar.

Wir sehen es als unsere gesellschaftliche Pflicht an, uns für sozial benachteiligte Kids und deren Familien ehrenamtlich zu engagieren, um sie auf dem Weg in eine sorgenfreiere Zukunft zu begleiten. Sie benötigen weiterhin unsere intensive Hilfe, Förderung und Unterstützung.

Wir danken allen Förderern und Mitstreitern, die uns seit Jahren solidarisch in unserem "Kampf" für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche unterstützen.


Quellen:

Süddeutsche Zeitung, "Kinder erhalten 2,77 Euro pro Tag für Essen", 07.03.2018

Süddeutsche Zeitung, "Reiches Land, arme Kinder", 13.12.2017

Süddeutsche Zeitung, "Das Armutsrisiko von Kindern steigt", 15.09.2017

http://www.iab.de/infoplattform/alleinerziehende

http://www.hartziv.org/